Das Projekt "Erinnerungskultur: Der Fall einer kleinen Stadt" dokumentiert fünf Zeitzeugeninterviews zum Ende des 2. Weltkrieges in Reichenbach im Vogtland sowie die dazugehörenden Archivrecherchen.

Projektlaufzeit

Oktober bis Dezember 2024

Vorhaben

Reichenbach im Vogtland ist eine kleine Stadt in Westsachsen, fast mittig zwischen Zwickau und Plauen gelegen. Seit dem industriellen Aufschwung Ende des 19. Jahrhunderts lebten hier bis zu 30.000 Menschen, heute sind es noch ca. 20.000. Über viele Jahrzehnte prägten vor allem Unternehmen aus dem Bereich Textil- und Metallindustrie das Stadtbild.   

Starke antidemokratische und nationalistische Tendenzen zeigen sich im Vogtland schon vor 1933. Im Juli 1932 wählen bei den Reichstagswahlen fast 47 Prozent der  Wahlberechtigten im Erzgebirge und Vogtland die Nationalsozialisten. Das sind deutlich mehr als im Rest Sachsens. 
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden nach 1933 viele - schon lange geplante - Projekte in Reichenbach umgesetzt. 1936 wird ein Stadtbad eröffnet, eine große Wohnsiedlung und eine Autobahn nach Reichenbach gebaut. Große Erfolge für die nationalsozialistische Propaganda. 
 
Auch eines der frühesten Konzentrationslager in Sachsen wird in Reichenbach eingerichtet. Das Reichenbacher „Volkshaus“, früher Treffpunkt der sozialistischen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Im März 1933 machen die Nazis daraus ein Lager für ihre politische Gegner. Zeitzeugen berichten von 1200 Menschen, die in Reichenbach inhaftiert sind. Es gibt Misshandlungen, Folter, Morde.

Bereits seit mehreren Jahren gibt es in der Stadt Kontroversen um die Erinnerung an das Kriegsende 1945, die Übergabe der Stadt an die Amerikaner und besonders um die Person des Oberbürgermeisters Otto Schreiber. Seine Biografie als Stadtoberhaupt zwischen 1933 und 1945, sein Engagement für die friedliche Übergabe der Stadt und sein Tod im Lager Mühlberg 1946 ergeben eine diffizile Gemengelage für die Erinnerungskultur der Stadt Reichenbach und ihrer Einwohner*innen.

Ein Ziel des Projektes war die Dokumentation von 5 Zeitzeugeninterviews mit sehr subjektiven Erinnerungen der Frauen und Männer an das Kriegsende 1945 im Sinne einer Sicherung des persönlichen Wissens für zukünftige Fragestellungen und Generationen. Für die entstandenen Interviews ist - wie für alle Dokumentationen der Oral history - grundsätzlich zu beachten, dass diese Quellen erst im Projekt "Erinnerungskultur: Der Fall einer kleinen Stadt" durch die filmische Aufnahme und das dazugehörende Setting entstanden sind. Weiterhin muss bei der Betrachtung, Bewertung und Verwendung der Interviews beachtet werden, dass Erinnern ein aktiver und selektiver Prozess ist, der keine Bilder und Geschichten von objektiver Gültigkeit entstehen lässt.

Die Erinnerung eines Menschen besteht immer aus einer Mixtur von Gedächtnisinhalten des kommunikativen Gedächtnisses einer Generation und persönlichen Erfahrungen. Die Erinnerung an die eigenen sowie an die kollektiven Erfahrungen wird von den Zeitzeug*innen niemals in Reinform ausgewählt und aus dem Gedächtnis hervorgerufen, sondern setzt sich immer in überschriebener Form aus dem Moment heraus zusammen. Erinnerung ist ein Prozess, in dem Vergangenes aktualisiert wird. Das heißt, dass alle Erfahrungen, Informationen, Meinungen, Deutungsmuster, Diskussionen, Diskurse etc., die zwischen dem erinnerten Zeitpunkt und dem Interview liegen, ebenfalls Teil des Erinnerten und somit Teil der produzierten Quelle sind. Es kann dabei soweit kommen, dass die Zeitzeug*innen Inhalte aus Presseartikeln oder Spielfilmen in die persönliche Erinnerung einbauen, nur um so genannte «Erinnerungslücken» zu schließen. Materialien, die auf diese Weise gewonnen werden, sind nicht einfach auszuwerten und im Sinne eines "SO war es" weiter zu verwenden. Im Grunde geht es nicht um die Frage, was wirklich geschah, sondern darum, wie eine Person über bestimmte Dinge – und über sich selbst – Auskunft gibt oder Rechenschaft ablegt. 

Die im Projekt produzierten Dokumentationen sind vor dem Hintergrund der komplexen Fundierungen der geschichtswissenschaftlichen Methode Oral history zu sehen, ihre Verwendung für weiterführende Forschungen und/oder im weiteren Kontext immer mit den Möglichkeiten und Risiken der Methode in Relation zu setzen. Einen guten Einstieg in das Thema Oral history findet sich hier.

Die einzelnen Interviews wurden zwischen dem 4. und 6. Dezember 2024 in Reichenbach und seinen Ortsteilen vom Team „Farbfilmer“ (externer Partner) aufgenommen und produziert. Die Videos sind auf youtube über folgende Links abrufbar:

Interview Werner Lenk

Interview mit Christine Liszewski

Interview mit Peter Tillack 

Interview Thea Winkler 

Interview Brigitta Fügmann 

Um dem komplexen Thema nicht nur mit subjektiven Erinnerungen gerecht zu werden, wurde im Projekt eine Archivrecherche zum Thema "Kriegsende in Reichenbach im Vogtland" sowie zur Tätigkeit Otto Schreibers als Oberbürgermeister Reichenbachs durch Frau Lore Liebscher (extern beauftragt) durchgeführt. Die Rechercheergebnisse befinden sich derzeit noch in der Korrekturphase und werden nach Vorliegen auf unserer Website veröffentlicht. 

Ansprechpartner

Sina Lorbeer Klausnitz M. A. 
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Externe Partner

Lore Liebscher (Archivrecherche)
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Stephan Liskowsky (Zeitzeugeninterviews)
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Dinah Münchow (Zeitzeugeninterviews)
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Förderer

Freistaat Sachsen über "Sehnsucht nach Freiheit - Erinnerungskultur" 

 

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